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„Glaubst ma nie“ – 3

Ein Wiener Kaffeehaus ist mehr als ein bloßer Rückzugsort für introvertierte EinzelgängerInnen und Menschen, die bei Heißgetränk und Mehlspeise dem Alltagsleben entfliehen wollen. Da ist die ältere Dame, die täglich ins Kaffeehaus geht um die Zeitung zu lesen, während sie an ihrem Franziskaner nippt, und eine Gruppe von Damen, die sich als Ritual jeden Mittwoch Abend für mehrere Partien Tarock trifft.

KULTFILM-KULISSE: EIN HOTSPOT FÜR FILMBEGEISTERTE

Doch auch besondere Gäste, die aus ganz speziellen Gründen in ein Kaffeehaus kommen, liefern eine Fülle an Geschichten: Die Wirtin eines renommierten Wiener Kaffeehauses hat alle Hände voll zu tun, denn die Anfragen von FilmemacherInnen, die in ihrem Kaffeehaus drehen möchten, reißen nicht ab. Der Grund dafür liegt unter anderem an der Tatsache, dass der Kultfilm „Before Sunrise” dort gedreht wurde. Seitdem strömen Filmfans aus aller Welt in die aus dem Film bekannte Loge. Sogar Heiratsanträge hat es dort schon gegeben. Auch wenn die Wirtin heute die meisten Anfragen von Filmcrews ablehnt — aus Angst, dass sie wieder etwas in dem denkmalgeschützten Kaffeehaus beschädigen könnten, hat sie im Lockdown das Beste aus der Situation gemacht: Das Kaffeehaus öffnete seine Türen für junge Wiener FilmemacherInnen und bot ihnen ihr Cafe als kostenlosen Drehort an. Als Gegenleistung wurde von den JungregisseurInnen lediglich ein großzügiges Trinkgeld für den anwesenden Ober verlangt, der behütend schaut, dass nichts in die Brüche geht.

EIN UNGEWÖHNLICHER WÄCHTER

„Woher kommt denn dieser skurrile Affe auf dem Regal?“ Diese Frage beantwortet die junge Kellnerin offensichtlich nicht zum ersten Mal und erzählt amüsiert die Geschichte, die sich vor einigen Jahren so zugetragen haben soll: Ein junger Mann, Mitte zwanzig, habe zur Geburtstagsfeier seiner Freundin einen ausgestopften Makaken Affen besorgt und ihr im Kaffeehaus vor allen Gästen diesen als Geschenk feierlich in einem Sackerl überreicht. Die Stimmung schwankte merklich, als die Freundin den Affen erblickte und heftig aufschrie. Was als lustiger Partygag begann, endete in einem lauten Streit. Als der Tisch schließlich zu späterer Stunde leer war, fand man das Sackerl mit dem Makaken Affen unter der Sitzbank. Seitdem bewacht er im Kaffeehaus die Gäste vor Streit und Missgunst.

„I BIN KEIN DOKTOR, I HAB KOAN TITEL”

Wer kennt sie nicht: Die besonders österreichische Affinität für Titel. Natürlich ist dieser Titel-Kult auch im Kaffeehaus präsent: Ein täglich gesehener Stammgast und Anrainer eines renommierten Kaffeehaus nahm stets seinen Platz vor dem vorletzten Fenster ein. Die Wirtin und ihr Team begrüßten ihn immer mit den Worten „Guten Morgen, Herr Doktor”. Doch eines Tages betonte der Herr, dass er überhaupt keinen Titel besaß: „I bin kein Doktor, i hab koan Titel”. In Anbetracht dieser Tatsache war klar: Wenn er schon kein Doktor ist, muss ein anderer Titel her. Fortan wurde er als Herr Hofrat angesprochen und wurde damit zum Hofrat des Kaffeehauses. Im Wiener Kaffeehaus gibt es zu Speis’ und Trank auch gleich einen Titel dazu.

DAS KAFFEEHAUS: EIN ORT AN DEM GESCHICHTEN ENTSTEHEN

Die Wiener Kaffeehäuser sind nicht nur einfach Cafés, sondern lebendige Bühnen, auf denen die Geschichten der Stadt zum Leben erweckt werden. Hier begegnen sich Stammgäste mit ihren einzigartigen Ritualen und Filmbegeisterte, die dem Kaffeehaus eine ganz besondere Magie zuschreiben. Die Erlebnisse, die man in diesen traditionsreichen Orten macht, sind unvergesslich und bieten eine schier endlose Quelle von Geschichten, die sich über die Jahre hinweg überliefern und immer wieder gerne erzählt werden.