K - Magazin der Kaffeehäuser 2020 - 03

K 10 Events zu sein und da ist innerhalb von drei Tagen meine gesamte Saison zusammenge- brochen. Ich musste alles digital machen und das ist nicht dasselbe. K: IhreVorträge sind sehr emotional. Lässt sich das digital überhaupt bewerkstelligen? Horx: Man muss das anders angehen. Ich habe ein ordentliches Studio gebucht, mit guter Kameraqualität, Beleuchtung und Audio. Dann muss ich den Vortrag enger takten, weil mit Rhetorik, Gestik und Mimik gar nichts geht. Es war aber ein tol- les Learning, dass die Gespräche und Fragen danach viel besser sind. Die Hemmschwelle ist weg.Auch die Schüchternen trauen sich, Fragen zu stellen, und die Schüchternen haben meistens die besseren Fragen. Ich habe also den Frontalunterricht reduziert und bin mehr auf den Frageteil eingegangen. K: Wie sieht die Zukunft desTourismus aus? Horx: Der Massentourismus wird zurück- gehen. Die Slow-Travel-Bewegung, die auch davor schon zu sehen war, ist jetzt vielleicht eine These, die man auch Corona zugrunde legen kann. Corona ist kein Megatrend und Corona hat auch nichts getan, was uns total überrascht hat, sondern Dynamiken be- schleunigt, die wir bereits gesehen haben. BeimTourismus war die Beziehung zwischen Touristiker und Gast schon marode.Wir has- sen zwar Tagestouristen, aber gleichzeitig brauchen wir sie fürs Geld. Kultur und Rei- sen werden konsumiert und nicht erfahren. Und das wird sich jetzt ändern. Das ist die große Moral von Corona: Ganz viel von dem, was man zu vermissen glaubte, ver- misst man am Ende des Tages gar nicht so sehr.Auch imTourismus bemerken wir eine Beschleunigung der Entschleunigung. Wir sehen diese Entschleunigungstrends überall, sei es im Digitalen, im Konsum usw. K: Liegt darin auch eine Chance für die Kaffee- häuser? Horx: Absolut. Entschleunigung hat ja auch einen Vorteil. Das ist ein Hot Tip für die Kaffeehauswelt, weil das Kaffeehaus war immer ein Ort, wo man sich hinsetzt und ein paar Stunden Zeitung liest. Das ist total konträr zu der beschleunigten Leistungs- gesellschaft, wie wir sie gewohnt waren. Meiner Meinung nach ist es für traditionelle Kaffeehäuser nicht der richtige Schlüssel, auf Überdigitalisierung zu setzen und überall Remote-working-Ecken einzurichten, son- dern man sollte auf das setzen, was man gut kann. Das ist in dem Fall auch die zwischen- menschliche Entschleunigung, der österrei- chische Charme bei der Bedienung. K: Hat Corona auch Auswirkungen auf unsere hedonistische Spaßgesellschaft? Horx: Bei der Jugend geht sich das wirt- schaftlich mit dem Hedonismus so oder so nicht aus. Die These, dass wir eine Hedo- nismusgesellschaft waren oder sind, ist nicht ganz richtig, weil man hat mehr und härter gearbeitet und sich dann eingeredet, dass der Hedonismus das legitimiere. Das führte zu einem ziemlichen Unglück, denn Hedo- nismus ist an die 24/7-Gesellschaft gekop- pelt, man muss immer erreichbar sein. Man wird jetzt den Vertrag „Arbeit, Freizeit und Privatleben“ neu verhandeln, denn ab einem gewissen Einkommen pro Jahr flacht das Glücksgefühl ab, da kann man mehr und mehr verdienen und wird nicht glücklicher. Diese Dynamik hat Corona beschleunigt. Ich habe schon vor Corona die 40-Stunden- Norm hinterfragt. Zudem gibt es nicht mehr genug Arbeit für alle. Da spielen jetzt auch die Diskussionen über das bedingungslose Grundeinkommen eine Rolle. K: Erleben wir da gerade eine Spaltung der Gesell- schaft:Arm versus Reich? Horx: Die Corona-Krise erfindet ja nichts neu, sondern richtet das Licht auf Probleme, die wir bereits davor hatten. Es braucht jetzt eine ökonomische Verteilungsrevolution. Utopien unserer We t. A s S hnittste e zwis hen Kre tivit t und Wirts h ft definiert der Ku tur- und Sozi nthropo oge seine Arbeit. „Alles was war, können wir nicht mehr beeinflussen. Doch die Zukunft ist völlig offen und unsere Einstellung dazu wird sie maßgeblich prägen.“ TRISTAN HORX

RkJQdWJsaXNoZXIy NDYxNjc=